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12.11.2021 / Pascal Zeder

Alles im Gleichgewicht

Das Höhenflug Literaturfestival Zug hebt ab. Der Eröffnungsabend ist geprägt vom Wechsel von Komik und Schwere, von Höhe und Tiefe und von einem Zwischendrin, in dem sich schreiben lässt.

Das Eintauchen in das Theater im Burgbachkeller hat etwas Reinigendes. Die Kellermauern lassen nicht nur den Mobiltelefonempfang, sondern auch die tanzenden Gedanken des Alltags abprallen. Es ist eine Einkehr, eine Reise ins Innere.

Daran ändert sich auch nichts, dass man auf den Eintritt durch den Menschenandrang etwas warten muss. Und es hilft zu sehen, dass auch der Regierungsrat weiter vorne in der Schlange artig wartet, bis er an der Reihe ist. Tröpfchenweise geht es hinein, man wird Teil des Höhenflug Literaturfestivals Zug. Wir heben ab.

Von Spitälern und vollendetem Handwerk

Man brauche ihn nicht vorzustellen, sagt Moderator Martin Ebel, ehemaliger Literaturchef des Tagesanzeigers, nur um es dann doch zu tun. Thomas Hürlimann ist weit gereist, doch er gilt als der Zuger Autor. Entsprechend voll sind die Ränge im Theater im Burgbachkeller.

Eigentlich wäre das hier eine Lesung aus Hürlimanns neuem Erzählband. Gelesen wird im Verhältnis wenig, viel mehr wird gesprochen. Über Erlebtes, über Geschriebenes, über das Handwerk, über das Wesen der Zeit. Ebel führt mit präzisen, herausfordernden Fragen durch die Lesung, waltet jedoch mit der nötigen Zurückhaltung und lässt Hürlimann Raum zur Erzählung, teils fast ad hoc literarisch, teils abschweifend, immer unterhaltsam. Dies trotz der eigentlichen Schwere des Themas: Hürlimanns Krebserkrankung liess ihm eine «fifty-fifty»-Überlebenschance, wie er erzählt. In einer Nacht im Spital entscheidet er sich, sich mit seinem Lebenswerk auseinanderzusetzen, wenn er die Chance dazu erhält.

Nun liegt der Rückblick auf das eigene Schaffen vor: «Abendspaziergang mit dem Kater» ist eine Zusammenstellung aus älteren und neuen Texten. Hürlimann bejaht die Frage, ob dies eine «Zwischenbilanz» sei mit: «Durchaus!»

«Ich wollte kein Mitleid heuschen.»

Thomas Hürlimann

Er erinnere sich an Texte von anderen besser als an die eigenen, sagt Hürlimann. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen ist für ihn ein Akt der Selbstreflexion, aber auch eine Verhandlung mit der Arbeit der schreibenden Zunft. So rühren ihn die Texte von Gottfried Keller zu Tränen, sagt Hürlimann, und spricht vom «vollendeten Handwerk».

Zu den ausgegrabenen Texten gesellen sich neue, etwa die Spital-Kritiken. Aufgrund seiner Krankheit erlebte er verschiedene Notaufnahmen und Pflegebetten am eigenen Leib. Dass er diese Erfahrungen, die mit viel Leid verbunden sind, in komisch-leichte literarische Erzählungen packt, sei eine Entscheidung gewesen, weil er «kein Mitleid heuschen» wollte, so der Autor. Hier also keine Tränen, sondern Lacher über seine traumatische Odysee. Die Form, so Hürlimann, sei ihm immer wichtiger gewesen als der Inhalt. «Ich habe im Spital etwas Interessantes erlebt», sagt er lakonisch, und als Schriftsteller habe er lange nach dem richtigen Gefäss für diese Geschichten gesucht. Geworden sind es Bewertungstexte, ähnlich einer Gastronomiekritik mit Sternbewertung.

Thomas Hürlimann war auch nach der Lesung gefragt. (Foto: pze)

Hürlimann und Ebel wechseln spielend von lockerer Komik zur philosophischen Tiefe, von Tränen über das vollendete Literarische Handwerk zu urkomischen Anekdoten aus dem Leben Hürlimanns. Der Zuger Autor zeigt sich als der gute Geschichtenerzähler, der er ist. Die Lesung kommt fast etwas kurz. Man hört den beiden auf der Bühne bei einem Gespräch zu, das problemlos über die Stunde hinaus verlängert hätte werden können.

Doch es folgt Gertrud Leutenegger, die von Thomas Hürlimann zum Höhenflug eingeladen wurde. Diese Autoren-Einladungen sind Konzept: Das Festival ist als «Reigen» zu verstehen, hört man immer wieder, ein Zusammenkommen von Literatinnen und Literaten, die sich gegenseitig schätzen. Und über Empfehlungen darf man sich ja immer freuen.


Beobachtungen in der Pause

  • Jemand fragt im Getümmel nach dem Verbleib des Autors. Widmungsjagd. Nach einem kurzen Verweis auf den gut besuchten Büchertisch schlurft die Fragende von dannen – da sei sie doch eben noch gewesen, murmelt sie. Die Erkenntnis: Wenn viele Leute im Saal sind, wird sogar das beschauliche Theater im Burgbachkeller unübersichtlich.
  • Jemand will wissen, ob man den Saal des Theaters im Burgbachkeller auch lüften kann – gute Frage.
  • Spitalkritik I: Die Spitalkritik Hürlimanns wird in der Pause zum Small-Talk-Thema – nur ohne Hürlimanns Komik. Erstaunlich offen erzählen sich Menschen von nahen Bekannten im Koma oder Operationen am eigenen Leib. Und wie man das Pflegepersonal und die Ärztinnen sowie Ärzte erlebte. Ein erstaunlich privater Einblick, angeregt durch Hürlimanns offenherzige Einblicke.
  • Spitalkritik II: Eine Zuschauerin übernimmt Hürlimanns Sternesystem, mit dem letzterer die Spitäler bewertet, und überträgt es auf das heutige Publikum. Sie gebe sich selbst als Zuschauerin drei von drei Sternen. Immerhin. Ihre Begleitung erhält von ihr dagegen nur zwei Sterne. Die Begründung steht noch aus.

«Kunst schaffen heisst, ein Gleichgewicht herzustellen»

Der Ton zur zweiten Lesung ist ein anderer. Moderator Markus A. Sutter liest einen längeren Text zu Gertrud Leuteneggers neuem Werk «Späte Gäste». Das Spontane, Gesprächige erhält so etwas weniger Raum und die Autorin leider zu selten selbst das Wort. Doch die von Leutenegger gelesenen Passagen sprechen im Anschluss für sich, die Autorin spricht langsam, bedacht und lässt ihren Worten den Raum, den sie brauchen. «Späte Gäste» erscheint unaufgeregt, man darf sich von dieser Unaufgeregtheit nicht täuschen lassen. «Es sind alle auf der Flucht in diesem Roman», sagt sie an einer Stelle und lässt die Brisanz dieser Geschichte durchblicken.

Die Autorin bringt scheinbar spielerisch Vergangenheit und Gegenwart zusammen, Auswanderung aus Italien und Einwanderung nach Europa, Fasnacht und Tod, die Geflüchteten in Lesbos mit griechischen Sagen. «Manchmal liegt in der Tiefe die Höhe», sagte Theres Roth-Hunkeler in ihrer Eröffnungsrede, Gertrud Leuteneggers Sprache verdeutlicht dies.

Der Eröffnungsabend des Höhenflug Literaturfestivals war gut besucht. (Foto: pze)

Man wünschte sich, dass das Gespräch mit der Autorin sich noch vertiefter an den Fragen zum Aktuellen, Politischen in diesem Werk abarbeiten: die unangenehmen Aspekte einer europäischen Migrationspolitik, das Leid, das Unmenschliche, die Konnotationen des Worts ‘Migrant’ – leider fehlt uns die Zeit.

«Kunst schaffen heisst, ein Gleichgewicht herzustellen», sagt Gertrud Leutenegger. Dieser Abend am Höhenflug zeigt, wie die Literatur dies vermag. Zwischen Komik und Schwere, Tiefen und Höhen, Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Rausch und Nüchternheit findet sich ein Zwischenraum, den beide Schreibenden scheinbar mühelos zu besetzen vermögen. In diesem Raum, der auch Distanz zu den eigenen Themen und Gefühlen zulässt, erklärt uns Gertrud Leutenegger, entsteht schlussendlich Literatur.

So geht der erste Abend am Höhenflug ins Land, am Freitag geht es bereits weiter mit Noëmi Lerch und Meral Kureyshi. Wir fliegen weiter.


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13.11.2021 / Selina Beghetto

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12.11.2021 / Pascal Zeder

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